Unsere Einschätzung: 5G wird 2023 einen Spurt hinlegen (Bild: Gerd Altmann / Pixabay)

Neues Jahr – neues Glück? Während 5G gerade erst bei vielen IT- und Industrie-Entscheidern ins Blickfeld rückt, wird schon angeregt über 6G diskutiert – obwohl diese Technologie erst 2030 Marktreife erreichen soll. Wir haben deshalb den Blick auf die nähere Zukunft gerichtet: Was soll in diesem Jahr passieren, und was können wir für die nächsten zwei bis fünf Jahre erwarten?

Am einfachsten ist die Frage auf technischer Seite zu beantworten: Die wichtigsten Hersteller von Modem-Chips und Kommunikations-Modulen wollen im ersten und zweiten Quartal 2023 ihre Produkte auf Release 16 updaten. Testmuster und geringe Stückzahlen sind bereits seit vergangenem Herbst erhältlich, in den kommenden Monaten sollen nun die Stückzahlen hochgefahren werden, um den Marktbedarf zu decken.

Release 16 am Start

Abgeschlossen worden waren die 5G-R16-Spezifikationen bereits Mitte 2020. Teils war es den Verzögerungen aufgrund der Corona-Pandemie geschuldet, teils aber auch den komplexen technischen Anforderungen, dass die Umsetzung in Silikon rund zwei Jahre auf sich warten ließ.

Insbesondere Anwender in der Industrie dürfen sich freuen: Damit wird der URLLC-Anwendungsfall (Ultra Reliable Low Latency Communication) endlich in Hardware umgesetzt, der geringere Latenzzeiten und eine hohe Zuverlässigkeit beim Datenverkehr mit erhöhter Priorität ermöglicht. Sogar eine Bridge zu Time Sensitive Networks (TSN) wurde erstmals implementiert. Ein weiterer Punkt, der beispielsweise autonomen Fahrzeugen in der Intralogistik zugutekommt, ist die verbesserte Positionsbestimmung mittels GNSS und von der Funkzugangstechnologie (RAT) abhängigen Verfahren.

Weitere Fortschritte betreffen das Network Slicing, sprich: die Einrichtung paralleler virtueller Netzwerke, die gegeneinander abgesichert sind und unterschiedlichen Anforderungen genügen können, obwohl sie auf ein und derselben Hardware basieren. Auch die Energie-Effizienz wurde verbessert, ebenso der Support für Mehrantennentechnik (Multiple Input Multiple Output, MIMO). Zugleich wird ein Sidelink eingeführt, der im Automobilbereich eine Kommunikation von Vehicle-to-everything (V2X) ermöglicht, also beispielsweise zwischen mehreren Fahrzeugen oder zwischen Fahrzeugen und smarter Verkehrsinfrastruktur. Details zu diesen und weiteren Aspekten von 5G R16 finden Sie in unserem ausführlichen Artikel Work in Progress: Wie sich 5G weiterentwickelt.

Release 17 ab 2024 verfügbar

Erst Mitte 2022 wurde der finale Status von Release 17 erreicht („Protocol Coding Freeze“, ASN.1). Entsprechende Modem-Chips könnten noch Ende dieses Jahres vorgestellt werden, Industrie-Kunden dürfen aber nicht vor 2024 mit größeren Stückzahlen rechnen. Geringere Hardware-Anforderungen, einfachere Bündelung unterschiedlicher Frequenzbereiche, weitere Verbesserungen bei Energie-Effizienz, Latenz, Positioniergenauigkeit und Bandbreite sowie zusätzliche Funktionen zur Unterstützung von Private Networks (Campus-Netzwerken) und Edge-Funktionen sind nur einige der wichtigsten Fortschritte des nächsten Releases, die insbesondere Industrie-Anwendern nützen. Mehr Informationen zu Release 17 und dem folgenden Release 18, mit dem „5G Advanced“ eingeführt werden soll, liefert der Artikel 5G Release 17 und 18: 3GPP gibt Startschuss für “5G Advanced”

Wohin geht der Markt?

Eines der meistdiskutierten Themen ist Open-RAN – die Möglichkeit, Funktechnologie unterschiedlicher Hersteller miteinander zu mischen. Verbunden damit werden gleich mehrere Vorteile. So soll die Dominanz der großen Anbieter – Ericsson, Nokia und Huawei – gebrochen werden. Das heißt zum einen, einen Hersteller-Lock-in zu vermeiden, auf der anderen Seite, aus einer größeren Zahl von Anbietern wählen zu können. Beides soll sich günstig auf die Preisentwicklung auswirken. Im Falle von Huawei kommt der mögliche Austausch von bestimmten Komponenten hinzu, da die Politik einen Einfluss chinesischer Akteure auf die kritische Kommunikations-Infrastruktur des eigenen Landes ausschließen will. Daneben soll Open-RAN es ermöglichen, die jeweils beste Technik in den verschiedenen RAN-Segmenten miteinander zu kombinieren.

Die Marktanalysten der Dell’Oro Group haben in einem aktuellen Bericht Ende Januar ihre Prognosen aktualisiert. Demnach haben sich die Open RAN-Umsätze in den vergangenen Jahren jeweils schneller beschleunigt als ursprünglich erwartet. Für 2027 soll der Anteil der Investitionen in Open-RAN nach den neuen Zahlen auf 15 bis 20 Prozent anwachsen. Besonders in Nordamerika erwarten die Marktbeobachter eine bedeutende Zunahme. Zugleich verweist Dell’Oro auf Liefer- und Installationsrisiken, die dazu führen könnten, dass die Inbetriebnahme der Anlagen – und damit die Umsatzerwartungen der Telekommunikationsanbieter – nicht mit den Investitionen schritthalten kann.

Insgesamt seien jedoch bereits wichtige Etappen beim Ausbau der öffentlichen 5G-Netze in den größten Märkten geschafft, so die Prognose von Seiten der Finanzanalysten. Sie stützen sich auf Ankündigungen von AT&T, Verizon und anderen, dass die Investitionen in 5G nun langsam zurückgefahren werden könnten. Sie wollen stattdessen ihre Glasfaser-Kapazitäten stärken. Schlagzeilen, nach denen sich der 5G-Markt in diesem Jahr abkühlen könnte, beziehen sich also vornehmlich auf die Investitionstätigkeit in den großen Industrieländern.

Ein wesentlicher Aspekt von 5G ist der Einsatz im Rahmen von IoT-Anwendungen, denn das Internet of Things (IoT) profitiert besonders von schnellen, bandbreitenstarken drahtlosen Kommunikationsverbindungen. Laut Juniper Research wird die Zahl der 5G-IoT-Connections in diesem Jahr auf 17 Millionen ansteigen. In den folgenden drei Jahren vervielfachen sie sich auf 116 Millionen. Insbesondere Smart-City- und Healthcare-Anwendungen gehen dabei voran. Für diese Segmente prognostizieren die Marktexperten von Juniper Research ein Wachstum von 1.100 Prozent bis 2026.

Was macht die Politik?

Noch offen ist, wie die chinesischen Anbieter sich in diesem und den Folgejahren am Aufbau von 5G beteiligen können. Auf der einen Seite berichten Medien über eine geplante Verschärfung der US-Regierung im Umgang mit Huawei. Dem China gegenüber mehr auf Konfrontation ausgerichteten Kurs folgend könnten die bislang gewährten – teils großzügigen – Exportgenehmigungen an Huawei in Zukunft vollständig versagt werden. Damit wäre fraglich, wie lange Huawei seine bestehenden Liefer- und Service-Verpflichtungen noch aufrechterhalten kann.

Auf der anderen Seite meldet ZTE, in Deutschland die NESAS-Zertifizierung (Network Equipment Security Assurance Scheme) des Bundesamtes für Sicherheit in der IT-Technik (BSI) erfolgreich abgeschlossen zu haben. Demnach seien seine 5G-NR-Produkte die ersten überhaupt, denen die vollständige Einhaltung der deutschen Sicherheitsanforderungen offiziell bescheinigt wurden. Postwendend stellt sich natürlich die Frage: Werden auch Huawei-Produkte eine solche Zertifizierung erhalten? Und werden die USA in einem solchen Fall in irgendeiner Form intervenieren?

Und während noch fleißig an öffentlichen und privaten 5G-Netzen gebaut wird, schreitet bereits die Entwicklung von 6G mit großen Schritten voran. Alle großen Industrienationen pumpen Fördergelder in die Entwicklung der übernächsten Mobilfunkgeneration. Denn alle haben die Hoffnung, dass mit 6G die Karten komplett neu gemischt werden und sie so die Versäumnisse der Vergangenheit überwinden können.

Viele offene Fragen

Zahlreiche weitere Aspekte können die Entwicklung von 5G und 6G mittelfristig beeinflussen. Als Beispiele seien genannt:

  • Intel sieht sich als führenden Anbieter von Beschleuniger-Prozessoren für vRAN und O-Ran (virtualisiertes RAN / Open RAN). Doch auch in diesem Markt bedrohen ARM-Architekturen die Position des Chip-Giganten. Verschiedene Player im Open-RAN-Markt zeigen sich sehr zufrieden mit der Entwicklung von hochspezialisierten, effizienten Prozessoren. Noch ist offen, wann die Ergebnisse Marktreife erlangen.
  • 5G-Use-Cases beziehen immer öfter das Spektrum im Bereich von Millimeter-Wellen mit ein, das ab etwa 26 GHz beginnt und aufgrund vieler ungenutzter Frequenzen sehr viel größere Bandbreiten ermöglicht. Doch diese werden mit einer sehr viel geringeren Signalreichweite erkauft. Inwieweit sich 5G mmWave jenseits von Innenräumen und der Anwendung als „Kabelersatz“ (Fixed Wireless Access, FWA) als praxistauglich erweist, ist noch nicht ausgemacht.
  • Im Rahmen eines vRAN- oder Open-RAN-Ansatzes bieten Microsoft, Google und Amazon ihre Public Clouds als Heimat für den 5G-Netzwerk-Kern und weitere Dienste an. Sie werben damit, dass standardisierte, skalierbare Infrastrukturen den Auf- und Ausbau der Netze vereinfachen und beschleunigen könnte. Doch bislang kann das Konzept weder bei den großen Mobilfunkbetreibern noch im Bereich der Campus-Netzwerk-Betreiber nennenswerte Erfolge vorweisen. Denn das hieße, zentrale Datenströme den US-amerikanischen IT-Konzernen anzuvertrauen.
  • Das Schlagwort vom „Single-Vendor-RAN“ macht immer häufiger die Runde. Das bedeutet, dass eben nicht die Komponenten unterschiedlicher Hersteller zusammengefügt werden, was derzeit noch häufig mit aufwändigen Kompatibilitätstests verbunden ist. Wenn nur ein Lieferant bemüht wird, der aber Open-RAN-fähige Komponenten liefert, kann man jetzt günstiger und schneller starten, die Vorteile des offenen Standards aber trotzdem bei der späteren Auf- und Nachrüstung nutzen.

Immerhin ein Punkt der 5G-Entwicklung scheint endgültig geklärt: Spätestens zum 24. Februar 2024 dürfen die US-Mobilfunkbetreiber ihre Frequenzen im C-Band uneingeschränkt auch im Umfeld von Flughäfen nutzen. Die betroffenen Airlines müssen bis dahin ihre Maschinen mit geeigneten Flughöhensensoren umrüsten. Für die rund 1.000 Flugzeuge veranschlagt die US-Flugbehörde FAA Kosten von rund 26 Millionen Dollar. Dass 5G zu Flugzeugabstürzen führt, ist demnach nicht zu befürchten.

Unsere Einschätzung

Die Redaktion von fuenf-G.de spricht mit vielen Marktakteuren, beispielsweise in unserem Format „Fünf Fragen an…“, bei Presseveranstaltungen und verschiedenen Events. Unser Eindruck ist, dass sich gerade ein Wandel vollzieht: Nicht mehr die Technik von 5G als solche ist relevant. Sondern jetzt rücken die Lösungen stärker in den Vordergrund. Es geht also weniger um Spezifikationen und Leistungsdaten, sondern mehr um praktische Fragen: Wie kann mir 5G bei drängenden Problemen helfen? Welche neuen Chancen für mein Geschäftsmodell eröffnen sich mit 5G?

Das zeigt sich beispielsweise im aktuellen Messekalender. Die Events mit „5G“ im Namen werden weniger, stattdessen finden sich Aussteller und Lösungen auf Veranstaltungen, die beispielsweise IoT im Fokus haben. Dort finden sich dann auch Bezüge zu der neuen Mobilfunkgeneration von Anbietern, die selbst keine 5G-fähigen Produkte im Portfolio haben – die aber in ihren Use-Cases auf 5G-Datenkommunikation setzen.

Mit großen Schritten kommt auch der Ausbau von öffentlichen Netzen voran, wo nicht nur die Abdeckung in der Fläche wächst, sondern bereits ein Technik-Upgrade hin zu mehr 5G-Stand-Alone-Netzen vollzogen wird. Eine weitere positive Entwicklung zeigt sich auch auf Seiten der Anwendertechnik. Bereits ab dem zweiten Quartal soll die Verfügbarkeit von 5G-Modems und 5G-Routern, die Release 16 unterstützen, deutlich zulegen. Die Hersteller und Distributoren haben angekündigt, dass Kommunikations-Module zum Teil bis zu 30 Prozent günstiger werden als die vorangegangene Generation.

Es gibt also bald genügend Hardware, öffentliche 5G-Netze in den meisten Regionen, die Wirtschaftlichkeit verbessert sich und es ist mehr Wissen um mögliche Anwendungen verfügbar – ideale Voraussetzungen für den Einstieg in Campusnetzwerke, Smarte Logistik, Digital Healthcare und viele weitere IoT-Themen.

Aus unserer Sicht ist 2023 das Jahr, in dem 5G einen deutlichen Schritt nach vorne machen wird. Für Unternehmen gibt es wirklich kaum noch einen Grund, sich nicht mit dieser Technologie zu befassen. Im Gegenteil: Datenaustausch und Datenanalyse werden in vielen Branchen immer wichtiger. Wer es versäumt, die Möglichkeiten einer kabellosen, mobilen Datenkommunikation zur Optimierung seiner Arbeitsabläufe und die Weiterentwicklung des eigenen Geschäftsmodells zu prüfen, schenkt wichtige Zukunfts-Chancen!

Wir werden Sie daher weiter mit spannenden Use-Cases, Informationen zu neuen Produkten und den Einschätzungen relevanter Marktakteure versorgen, um Sie bei der Nutzung dieser wichtigen Technologie zu unterstützen. Und wir freuen uns auch auf Ihren Input – zu neuen Projekten und Services, zu eigenen Erfahrungen oder zu möglichen Kooperationen und Partnerschaften!