Die O-RAN Alliance will ein Ökosystem für den Aufbau von offenen, intelligenten, virtualisierten und vollständig interoperablen Funkzugangsnetzen (Open RAN) fördern. (Bild: Screenshot O-Ran Alliance)
Die Aspekte Interoperabilität und Verfügbarkeit einer zukünftigen 5G-Infrastruktur und seiner Komponenten werden einen erheblichen Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg und die breite Akzeptanz der 5G-Technologie haben. Das gilt sowohl aus Sicht der Politik als auch von industriellen Anwendervertretungen wie der 5G-ACIA (5G Alliance for Connected Industries and Automation). Viele sehen die Open-RAN-Initiative als wirkungsvollen Hebel.
Autor: Michael Orzessek, Industry Solution Sales Director Wireless bei Keysight Technologies Deutschland und Keysight Delgate Member to 5G-ACIA.
Offene Schnittstellen und virtualisierte Funktionen sind der Kern der Open-RAN-Initiative. Allein diese beiden Aspekte schaffen auch aus Sicht industrieller Anwendungsfälle viele spannende neue Möglichkeiten. In Anbetracht der Tatsache, dass ein Großteil der industriellen 5G-Netzwerke auf privaten, nicht-öffentlichen Netzwerken basieren wird, gilt das auch umgekehrt: Anbieter von Open-RAN-Lösungen dürfen auf zusätzliche Geschäfte im Zusammenhang mit industriellen Anwendungsfällen hoffen.
Programmatischer Zugriff auf das RAN
Eine offene Architektur ermöglicht ein breiteres Wirtschaftsökosystem von Lieferanten und Lösungsanbietern und stellt eine Chance für spezialisierte Unternehmen dar, die eine hochgradig abstimmbare RAN-Infrastruktur für z.B. eine Fertigungsumgebung anbieten. Gleichzeitig können die offenen Schnittstellen industriellen Endanwendern einen programmatischen Zugriff auf das RAN in einer bisher nicht gekannten Weise ermöglichen. Dies kann sehr kundenspezifische und auf industrielle Anwendungsfälle fokussierte RAN-Funktionen ermöglichen, bei denen der betriebliche Technikkontext direkt im Service-Management der RAN-Funktionen genutzt werden kann. Aus wirtschaftlicher Sicht also eine sich selbst verstärkende positive Entwicklung.
Auch aus Sicht der 5G-ACIA kann die Open-RAN-Bewegung nur begrüßt werden. In Anbetracht der zunehmenden Auswahl an Anbietern für ein 5G-Kommunikationssystem und der voraussichtlichen Fähigkeit, abgestimmte und optimierte RAN-Funktionen für industrielle Anwendungsfälle bereitzustellen, verfolgt die 5G-ACIA diese Entwicklung mit wachsendem Interesse. Auch ein Blick auf die ICT-Mitglieder der 5G-ACIA zeigt, dass einige von ihnen bereits ein auf Open RAN basierendes Angebot in ihrem Portfolio haben.
Spezifikationen werden von IKT-Industrie unterstützt
Gleichzeitig muss angemerkt werden, dass Open RAN zwar Flexibilität bietet und dadurch viele industrielle Anwendungsfälle erst ermöglichen wird, die tatsächliche Entwicklung der O-RAN-Spezifikationen heute jedoch von der IKT-Industrie, d.h. den Mobilfunkanbietern und ihrer Lieferkette, vorangetrieben wird. Daher bestimmen die Anwendungsfälle der privaten Mobilfunknutzer derzeit die Spezifikationsprioritäten und Entwicklungsbemühungen. Deswegen ist es wichtig, dass OT-Unternehmen in die O-RAN-Allianz eingebunden werden. Nur so wird sichergestellt, dass industrielle Anwendungsfälle und Anforderungen angemessen in zukünftigen Spezifikationen berücksichtigt werden.
Es ist wichtig, dass OT-Unternehmen in die O-RAN-Allianz eingebunden werden. Nur so wird sichergestellt, dass industrielle Anwendungsfälle und Anforderungen angemessen in zukünftigen Spezifikationen berücksichtigt werden.
Michael Orzessek, Industry Solution Sales Director Wireless bei Keysight Technologies Deutschland
Aber wo steht Open RAN heute? Wendet man Geoffrey Moores Modell des Lebenszyklus der Technikübernahme auf Open RAN an, würde ich behaupten, dass es als Gesamtkonzept die „Kluft“ noch nicht überschritten hat. Das heißt, wir sehen noch keine „frühe Mehrheit“ von Unternehmen, wie Moore sie nennt, die Open-RAN adaptieren. Wenn man sich die Gemeinschaft der Mobilfunknetzbetreiber ansieht, wird das Thema von den Innovatoren oder Early Adopters angenommen. Sie verfügen über die organisatorischen und finanziellen Möglichkeiten, um mit den ersten Implementierungen voranzugehen. Folglich gibt es nur eine Handvoll Betreiber z.B. in Europa, die die Annahme von Open RAN als Ziel-RAN-Architektur öffentlich erklären. Die Absichtserklärung der Deutschen Telekom, Orange, Telefonica, TIM und Vodafone über „Die Implementierung von Open RAN basierten Netzwerken in Europa“ ist in diesem Zusammenhang besonders hervorzuheben.
Mehrwerte von Open RAN in Branchen verdeutlichen
Zwar werden solche Initiativen mit Sicherheit interessante Referenzen liefern, doch wird es darauf ankommen, dass die frühen potenziellen Nutzer von Open RAN diese auch für ihr individuelles Zielmarktsegment anwenden können. Eine Lösung könnte es dennoch sein, wenn sich die industriellen Netzwerkdomänen selbst offensiv als wichtige Marktteilnehmer für den Erfolg von Open RAN darstellen. So würde deutlich, dass die Flexibilität von Open RAN, spezifische und einzigartige industrielle Anwendungsfälle zu unterstützen, ein starkes Mehrwertangebot auch in anderen Branchen generieren kann. In diesem Sinne könnte bereits der Erfolg in einem der spezifischen Zielmärkte helfen, die mooresche Kluft zu überwinden.
In jedem Fall jedoch sollte die Open-RAN-Bewegung als mittel- bis langfristige Entwicklung gesehen werden, in der es sehr wahrscheinlich auch Rückschläge und eine Phase der Desillusionierung geben wird. Die Vergangenheit hat jedoch bewiesen, dass offene Konzepte große Aussicht haben, langfristig erfolgreich zu sein. Dasselbe ist auch für Open RAN zu erwarteten.
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