Als Anbieter von Industrie-Datenfunk-Lösungen freut sich Thomas Schildknecht wenn 5G an jeder Milchkanne angekommen ist. (Bild: Schildknecht AG)
Die Milchkanne von Anja Karliczek hat es vor gut einem Jahr geschafft, als Synomym für den Grad der Notwendigkeit des Internet-Ausbaus zu schaffen. Was schon damals vor mehr als einem Jahr nicht nur deutlichen Widerstand aus der Landwirtschaft, sondern breiten Teilen der Wirtschaft eingebracht hatte, ist auch heute noch Symbol für den Reifeprozess beim Ausbau von 5G. Im Gastbeitrag von Industrie Datenfunk-Experte Thomas Schildknecht zeigt er auf, wie die zukünftigen Bedürfnisse in der Automatisierungstechnik mit 5G-Technologie ideal zu flankieren sind.
Die Diskussion hat sich nicht erst an der Milchkanne entbrannt: Für Betriebe der Automatisierungstechnik stellt sich bei 5G die Frage, wie umfangreich und wie schnell die eigenen Produkte nach dem neuen Standard arbeiten müssen. Horcht man in den Markt hinein, merkt man, dass die Einschätzungen hier durchaus sehr verschieden sind. Auch aus meiner Sicht mit mehr als 35 Jahren Industrieerfahrung gibt es noch einige Hindernisse zu überwinden. Ein Stolperstein in der Harmonisierung von Endkunden der Fabrikautomation, Mobilfunkprovidern und Netzausrüstern ist unverändert die Latenz-, – sowohl hinsichtlich der Definition, als auch der bisher erreichten Werte. In der Diskussion steht auch unverändert die Latenz-Zeit: Für Automatisierer beschreibt Latenz die sog. „Feldbus-Aktualisierungszeit“, bei Profinet z.B: 1ms. Feldbuskommunikation über 5G statt über WLAN können mit dem aktuellen Stand von 5G (Release 15 eMMB) nicht realisiert werden. Erst das Mitte 2020 erwartete Release 16 definiert dann die uRLLC Anforderungen an die Echtzeitfähigkeit.
Anstrengungen bei Latenzzeiten notwendig
Ähnlich sieht es bei den Übertragungszeiten in 5G-Campusnetzen aus: Hier wir derzeit für die Übertragung eines Datenpaketes ein Wert von 1 Millisekunde „angestrebt“! Dieser Wert ist damit also kein garantierter Wert, sondern vorerst nur das Entwicklungsziel, um 5G für Automatisierungsanwendungen einsetzen zu können. Das hierfür vorgesehene TDD-Verfahren ist jedoch als Halb-Duplex-Verfahren kontraproduktiv hinsichtlich geringer Latenzzeiten: Nicht ohne Grund wurde beim Übergang von Profibus auf Profinet auch der Übergang von Halb- auf Voll-Duplex vollzogen. Daher gilt, dass die heute erreichbaren Latenzzeiten noch erheblich über den Zielvorgaben liegen und dass hier noch erhebliche Anstrengungen erforderlich sind.
„Es sind noch erhebliche Anstrengungen notwendig!“
Thomas Schildknecht
Zur Vervollständigung von 5G müssen noch weitere Technologie-Komponenten wie Beamforming, MIMO-Antennen und Millimeterwellen entwickelt werden, um nur einige Beispiele zu nennen. Generell wird es daher noch einige Jahre in Anspruch nehmen bis die heutige 5G-Lösung durch Erweiterungen einen technologischen Reifezustand erreicht hat. Bei allen Vorgängertechnologien (2G-4G) vergingen dafür fünf und mehr Jahre – für 5G kann von einem ähnlichen „Reifeprozess“ ausgegangen werden.
Campus-Netze noch im Kosten-Korsett
Mit den neu geschaffenen Campus-Netzen können Betriebe auf ihrem Firmengelände eine eigene Basisstation mit z.B. 4G LTE- oder 5G-Technologie errichten und für ihre industriellen Prozesse verwenden: Beispielsweise für eine Art „Super WLAN“ zur IIoT- und AGV-Vernetzung von mobilen und autonomen Förderfahrzeugen. Bandbreiten in 10-MHz-Schritten können seit Ende vergangenen Jahres bei der Bundesnetzagentur, unter Angabe des Verwendungszwecks, beantragt werden. Seit Anfang November 2019 sind auch die Kosten dafür nach einer Formel errechenbar. Zu beachten ist dabei, dass für Campusnetze das Prinzip „Use it or loose it“ gilt: die Installation muss innerhalb eines Jahres erfolgen, sonst erlischt die Genehmigung! Dienstleistungsangebote für Telefonie und Internetzugang sind in diesem Frequenzbereich nicht möglich. Zwischenzeitlich wurden auch die innerhalb der Campusgrenzen zulässigen maximalen Feldstärkewerte veröffentlicht.
Generell hat die Politik jedoch hier eine mutige Entscheidung für die Industrie und deren Zukunftsmöglichkeiten getroffen: 100MHz-Bandbreite im 3,7 – 3,8-GHz-Band wurden für derartige industrielle Anwendungen reserviert und bei der Lizenz-Versteigerung den Mobilfunkprovidern verweigert!
Wie geht es weiter mit 5G in der Automatisierungstechnik?
Noch gibt es in der Automatisierungstechnik keine Schlüssel-Applikation für 5G! Das liegt aber weniger an fehlender Kreativität der Automatisierer, sondern an den noch nicht vorhandenen 5G-Campusnetzen und an den ebenso noch fehlenden 5G-fähigen Endgeräten, die die entsprechende Bandbreite unterstützen. Hohe Zuverlässigkeit und niedrige Latenz sind in den jetzt versteigerten Frequenzbändern nicht möglich! Denn momentan hat noch kein Mobilfunkprovider im 3,5-GHz-Bereich eine entsprechende Bandbreite ersteigert, um die erforderlichen hohen Datenraten realisieren zu können. Das nächste Band ist dann 24 GHz, welches aber erst mit den folgenden Releases spezifiziert werden wird. Diese lange Kette von Teilrealisierungen setzt sich fort bis hin zu den 5G-Chipanbietern, die sich zu Beginn auf die kommerziell interessantesten Projekte konzentrieren werden, und das ist eindeutig die Consumer-Welt mit ihren Millionen an Smartphones und Tabletts.
Inwieweit die dafür entwickelten Chiptechnologien dann auch für industrielle Endprodukte wie z.B. Sensoren geeignet sind, muss sich zeigen. Denn zumindest einige Zielsetzungen laufen hier schon stark auseinander: In der Consumer-Welt werden 5G-Chips in sehr kurzen Produktionszyklen und sofort hohen Stückzahlen verarbeitet, wenn alle zwei Jahre die nächste Smartphone-Generation mit immer höheren Leistungsdaten aufwarten muss. Für industrielle Anwendungen müssen Chips dagegen viele Jahre lieferbar sein. Das hierfür zugrundeliegende Problem ist der sehr hohe nationale Funk-Zertifizierungsaufwand, den die Länder vorwiegend individuell definieren und den jeder Inverkehrbringer zu erbringen hat und das für über zehn unterschiedliche Frequenzbereiche, die es bei 5G gibt. Unabhängig von diesem Zeitaufwand für die Zertifizierung muss für eine Zulassung in den wichtigsten Industriemärkte mit Kosten von mindestens 500.000.- € kalkuliert werden. Und dieser Aufwand wiederholt sich bei jeder neuen Chipgeneration.
Ein Sensorhersteller mit einer hohen Zahl an Produkten wird diese daher kaum auf 5G ertüchtigen, wie es auch schon bei Bluetooth der Fall war oder ist. Obwohl diese Technologie bereits seit 20 Jahren bekannt ist, gibt es kaum industrielle Sensoren mit dieser Funktechnologie. Aus diesen Gründen sind Geduld und Optimismus gleichermaßen angesagt. Die Automatisierungstechnik stellt sehr hohe Anforderungen und 5G ist eine sehr neue, aber deutlich ausbaufähige Technologie! Der Nutzen auch für die Automatisierungstechnik wird sich einstellen, aber es wird länger dauern, als von vielen erwartet oder erhofft.
(Autor: Thomas, Schildknecht, Redaktion: Paul Kho)
Beitrag kommentieren