1&1 schickt sich an, ein viertes deutsche Mobilfunknetz aufzubauen – allerdings mit Verzögerung. (Bild: 1&1)

Bis Ende des Jahres hätte 1&1 mindestens 1.000 Antennenstandorte für sein neues 5G-Mobilfunknetz errichten müssen. Doch dieses Ziel ist nicht mehr erreichbar, gestand der Konzern nun ein, der Lieferengpässe geltend macht. Der Marktstart der 5G-Services soll weiterhin wie geplant Mitte 2023 erfolgen.

Bei der Frequenzauktion 2019 konnte sich der Kommmunikationskonzern 1&1 eigene Frequenzen sichern, um ein viertes Mobilfunknetz – neben denen der Deutschen Telekom, Vodafone und Telefónica / O2 – aufzubauen. Doch der Kauf war mit Auflagen verbunden: 1.000 5G-Antennenstandorte sollten bis Ende 2022 in Betrieb gehen, das Mobilfunknetz muss zudem bis 2025 mindestens 25 Prozent der deutschen Bevölkerung erreichen, bis 2030 sogar 50 Prozent.

Die erste Hürde wird das Unternehmen allerdings reißen, wie 1&1 jetzt bekannt gab. Von den drei Ausbaupartnern könnten zwei vereinbarungsgemäß liefern. Sie sind jedoch nur für rund ein Drittel der geplanten 1.000 Standorte verantwortlich. Der dritte Partner, der den Rest übernehmen sollte, kann dagegen seine Verpflichtungen nicht fristgerecht einhalten. Nach intensiven Gesprächen habe der Ausbaupartner versucht, verschiedene Beschleunigungsmaßnahmen umzusetzen. Doch auch diese seien gescheitert. Das Ausbauziel könne deshalb voraussichtlich erst im Sommer 2023 erreicht werden.

Reine Open-RAN-Infrastruktur

Generalunternehmer für den Netzaufbau ist Rakuten Symphony, die Mobilfunksparte des japanischen Konzerns. Dieser setzt voll auf eine Open-RAN-Architektur, also eine Infrastruktur, die sich unterschiedlicher Anbieter bedient und die verschiedenen Komponenten auf Basis offener Standards verbindet.

Dieses Verfahren hat Rakuten bereits beim Aufbau eines Mobilfunknetzes im Heimatland angewandt – allerdings mit gemischtem Erfolg. Im Einkauf seien zwar Einsparungen von 30 bis 40 Prozent gegenüber proprietären Lösungen aus einer Hand zu erzielen, so Marktexperten. Dagegen fallen derzeit noch hohe Aufwendungen für Interoperabilitäts-Tests an – das japanische Rakuten-Netz soll fast doppelt so viel kosten wie die ursprünglich veranschlagten 4,8 Mrd. Euro.

Auch soll es zunächst Probleme bei der Leistungsfähigkeit des Netzes gegeben haben. Doch man habe aus den Erfahrungen in Japan gelernt, so Raimund Winkler, Chef von Rakuten Mobile Deutschland. Deshalb sei hierzulande „Rakuten 2.0“ am Start. Das scheint sich auszuzahlen: Vor wenigen Wochen meldete 1&1, dass die ersten Feldtests erfolgreich absolviert worden seien.

(Bild: 1&1)

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„Im Juli haben wir den ersten Friendly User Test unter realen Bedingungen und im echten Kundenverhalten gestartet! Die Ergebnisse haben unsere Voraussagen getroffen und lagen teils sogar darüber.“

Unternehmenssprecher 1&1

 

Man habe Geschwindigkeiten von über 1 Gigabit pro Sekunde erzielt sowie stabile Datentransfers mit ca. 8 Terabyte pro Kunde innerhalb von 24 Stunden. Unter optimalen Bedingungen seien Latenzzeiten von unter 3 ms möglich, etwa bei Gaming-Anwendungen in der Edge-Cloud.

Wettbewerb nicht untätig

Open-RAN ermöglich es, Technik unterschiedlicher Hersteller zu mischen. (Bild: Telefónica)

Open-RAN ermöglich es, Technik unterschiedlicher Hersteller zu mischen. (Bild: Telefónica)

Die anderen drei Mobilfunkprovider experimentieren ebenfalls mit Open-RAN-Infrastrukturen. Telefónica beschränkt sich allerdings auf ergänzende Infrastrukturen für Gegenden mit hoher Nutzerdichte, beispielsweise in den Zentren großer Städte. Es sei fraglich ob die Technik für einen landesweiten Rollout geeignet sei, so beispielsweise die Bedenken von Jochen Bockfeld, Vice President Network Core & Service bei Telefónica Germany. Vodafone entwickelt inzwischen eigene Chips und Hardware für Open-RAN. Und die Deutsche Telekom will ihren 5G-Core von Huawei im deutschen 5G-Netz gegen einen Open-RAN-Core austauschen, der gemeinsam mit Mavenir entwickelt wurde.

Open-RAN à la 1&1

Auch wenn sich die Verfechter von Open-RAN prinzipiell von den großen Lieferanten unabhängig machen wollen, sollen wichtige Netzwerkbestandteile von Nokia geliefert werden. Bei der Antennentechnik setzt Generalunternehmer Rakuten Symphony auf NEC, Server kommen von Dell und weitere Open-RAN-fähige Netzwerktechnik von QCT.

Im Open-RAN-Netz von 1&1 laufen elementare Funktionen nicht auf spezialisierter Hardware am Mast, sondern auf Edge-Servern im Rechenzentrum. (Bild: 1&1)

Im Open-RAN-Netz von 1&1 laufen elementare Funktionen auf Edge-Servern im Rechenzentrum. (Bild: 1&1)

Rund 500 Far-Edge-Server sollen im Vollausbau dafür sorgen, dass die Signallaufzeiten kurz bleiben und die Datenleitungen entlastet werden. Angebunden werden sie hauptsächlich über die 1&1-Tochter Versatel, die über ein eigenes Glasfasernetz von mehr als 50.000 km sowie die benötigten Rechenzentren verfügt. Rund 20 bis 30 Edge-Data-Center sollen mit den Far-Edge-Servern verbunden werden. Im Rahmen des Open-RAN-Ansatzes werden zahlreiche Netz-Services in Private Clouds als virtualisierte Fronthaul-, Midhaul- und Backhaul-Funktionen abgebildet.

Als Generalunternehmer für mindestens 500 neue Standorte setzt 1&1 auf die Gesellschaft für Telekommunikation Deutschland (GfTD), so eine Mitteilung vom April. Das Unternehmen hatte 2013 Teile der damals abgewickelten Nokia Siemens Networks-Services (NSN-S) übernommen und 2015 Teile der Servicesparte von Huawei Technologies Deutschland. Im Rahmen des „Weiße-Flecken“-Programms erstellte GfTD ab Anfang 2020 bereits mehrere hundert Antennenstandorte für 1&1. Zwar will der Provider den Namen des Partners nicht nennen, der für die Verzögerung des Netzaufbaus verantwortlich ist. Es erscheint jedoch aufgrund der Größe des Auftrags wahrscheinlich, dass es sich dabei um GfTD handelt.

Zu den weiteren Kooperationspartnern zählt unter anderem die deutsche Tochtergesellschaft der American Tower Corporation (ATC), die bei der Suche nach Co-Location-Standorten unterstützt und Antennenmasten an 1&1 vermietet. Deutschlandweit betreibt die ATC Germany Holdings 15.000 Funkmasten. Weitere Masten hat der Mobilfunkprovider von Vantage Towers gemietet. 3.800 von dessen Dach- und Maststandorten sollen bis Ende 2025 mit 5G-Anlagen von 1&1 ausgestattet werden, optional kann die Zahl auf 5.000 erweitert werden.

Ebenfalls beteiligt ist Media Broadcast, eine Tochtergesellschaft von freenet, die eine Rund-um-die-Uhr-Wartung der Hochleistungsantennen an mehreren tausend Standorten und Instandhaltung sowie eine schnelle Entstörung bei Problemen in den Rechenzentren garantieren soll.

Mobilfunk zunächst ohne Mobilität

Der bisherige Plan sah vor, dass die 1.000 Antennenstandorte zwar bis Ende 2022 in Betrieb gehen, nicht jedoch das geplante Mobilfunknetz. Vielmehr sollten die Standorte zunächst ausschließlich für FWA-Services (Fixed Wireless Access) genutzt werden, also als Alternative für kabelgebundene Festnetzanschlüsse.

Das 5G-Mobilfunknetz soll Mitte 2023 starten. Dies hängt auch mit den Verzögerungen beim Abschluss eines National-Roaming-Abkommens zusammen. Erst nach Einschaltung von Gerichten, der Bundesnetzagentur (BNetzA) und sogar der Europäischen Kommission konnten Telefónica / O2 und 1&1 den Streit um die Höhe angemessener Roaminggebühren beilegen und sich auf eine Vereinbarung einigen. Diese tritt zum 1.7.2023 in Kraft und ist zunächst begrenzt auf zwei Jahre. 1&1 kann die Laufzeit einseitig bis zum 30.6.2029 ausdehnen. Darüber hinaus ist auf Wunsch von 1&1 eine Verlängerung um weitere fünf Jahre bis Mitte 2034 möglich, wenn sich beide Seiten darauf einigen können.

Nach Angaben der beiden Kooperationspartner sind für das National Roaming umfangreiche Vorbereitungen im Telefónica-Netz nötig, die einen früheren Start unmöglich machen. Gleiches gilt für das Roaming im Ausland. Sollte also die Inbetriebnahme der ersten 1.000 Masten bis zum Sommer 2023 gelingen und auch das Roaming rechtzeitig eingerichtet sein, könnte das Mobilfunknetz ohne Verzögerung starten.

Roaming ohne 5G

Die Vereinbarung zum National Roaming sieht vor, dass Kunden des neuen Mobilfunknetzes von 1&1 in allen Gebieten Deutschlands, in denen kein eigener Netzzugang besteht, automatisch über das Telefónica-Netz versorgt werden. Dort steht ihnen allerdings kein 5G, sondern nur 2G und 4G zur Verfügung. In Gebieten, die 1&1 selbst versorgt, wird das Roaming unterbunden.

Bislang verkaufte 1&1-Mobilfunkprodukte beruhen auf dem Mobilfunknetz von Telefónica. Dies betrifft rund 11 Millionen Kunden. Sie werden ab Herbst 2023 innerhalb einer zweijährigen Übergangszeit sukzessive migriert und haben bis dahin weiterhin 2G-, 4G- und 5G-Zugang im Telefónica-Mobilfunknetz. Das könnte noch Ärger geben, wenn der Kunde 5G nutzen will: Nach der Migration steht der schnellere Mobilfunkstandard nur noch im – begrenzten – Ausbaugebiet von 1&1 zur Verfügung. Umgekehrt könnten ältere Handys und Smartphones nicht mit dem 1&1-Netz zurechtkommen, denn dieses bietet weder 2G (GSM) noch das von allen deutschen Providern inzwischen abgekündigte 3G (UMTS/HSDPA).

Schnellerer Ausbau angekündigt

Entsprechend hoch ist die Motivation, die Abdeckung schnell zu verbessern. Dem steht jedoch die derzeit verfügbare Frequenzausstattung entgegen. Als Ergebnis der Auktion kann 1&1 lediglich auf Frequenzen im 3,6-GHz-Spektrum zugreifen. Diese sind aufgrund ihrer physikalischen Eigenschaften nur für den Einsatz in Ballungsgebieten geeignet, denn sie weisen eine begrenzte Reichweite auf. Hinzu kommen Telefónica-Frequenzen bei 2,6- GHz, die 1&1 aufgrund von EU-Auflagen bis Ende 2025 überlassen werden. Sie ermöglichen etwas großflächigere Funkzellen. Erst 2026 werden die weiteren ersteigerten Frequenzen im 2-GHz-Spektrum frei.

1&1-CEO Ralph Dommermuth tritt gegen die etablierten Mobilfunkanbieter an. (Bild: 1&1)

1&1-CEO Ralph Dommermuth tritt gegen die etablierten Mobilfunkanbieter an. (Bild: 1&1)

Zum 31.12.2025 endet zudem die Lizenzfrist für 800-MHz-Frequenzen, die für eine großräumige Abdeckung geeignet sind, ähnlich wie später freiwerdende Frequenzbereiche bei 700 und 900 MHz. 1&1-Chef Ralph Dommermuth will erreichen, dass diese Frequenzen nicht einfach verlängert oder wieder in einer kostspieligen Bieterschlacht vergeben werden. Er plädiert für eine faire Verteilung, um sein Netz wettbewerbsfähig im ganzen Land aufbauen zu können. Die BNetzA prüft derzeit verschiedene Verfahren und Optionen. Eine Entscheidung müsste spätestens bis Ende 2023 fallen, um eine rechtzeitige Vergabe zu ermöglichen.

Bis dahin muss sich 1&1 zunächst auf Ballungsräume konzentrieren. Die Scharte beim ersten Ausbauziel will man schnell wieder wettmachen. Mit den derzeit verfügbaren Frequenzen soll das Ausbauziel für 2025 fristgerecht erreicht werden, eine Abdeckung von 50 Prozent der Bevölkerung will das TK-Unternehmen sogar vor der gesetzten Frist 2030 schaffen.