Kein Mobile World Congress in diesem Jahr (Bild: GSMA)

12 Tage vor dem Start des Mobile World Congress 2020 zogen die Veranstalter den Stecker – nachdem immer mehr Branchenschwergewichte ihre Teilnahme zurückgezogen hatten. Auch andere Messen haben inzwischen mit Absagen zu kämpfen. Besonders stark trifft es derzeit die Embedded World in Nürnberg.

Mit jeder neuen MWC-Absage wurde die Frage lauter: „Findet der Mobile World Congress in Barcelona überhaupt noch statt?“ Nachdem neben Ericsson, Intel, LG und etlichen anderen zusätzlich noch kurz hintereinander Größen wie Nokia, Deutsche Telekom, Vodafone und Orange, der US-Netzbetreiber AT&T sowie Cisco und Facebook abgesagt hatten, berief die GSMA als Messeausrichter eine Sondersitzung ein, an deren Ende das Aus für die weltgrößte Mobilfunkmesse in diesem Jahr stand.

GSMA-CEO John Hoffmann teilte mit:

[…] Trotz der sicheren und gesunden Umgebung in Barcelona und im Gastland Spanien hat die GSMA den MWC Barcelona 2020 abgesagt, da wir aufgrund der weltweiten Besorgnis über den Ausbruch des Coronavirus, der Reisebeschränkungen und anderen Umständen nicht in der Lage sind, die Veranstaltung abzuhalten. […]

Unser derzeitiges Mitgefühl gilt den Betroffenen in China und auf der ganzen Welt.

Der GSMA versicherte, die Vertreter der Stadt Barcelona respektierten die Entscheidung, und man werde weiter gemeinsam an den Vorbereitungen für den MWC 2021 und die Events der Folgejahre arbeiten.

Das liebe Geld

Ganz so harmonisch, wie das Statement zur Absage Glauben machen will, ist die Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen von Stadt und Region momentan jedoch nicht. Zwischen 450 und 500 Millionen Euro Umsatz bringt die Messe jedes Jahr nach Barcelona, die normalerweise über 100.000 Besucher und Vertreter von mehr als 2.400 Ausstellern anzieht. Dieses Geld fehlt nun, und es gibt Streit darüber, wer dafür geradesteht.

Die GSMA sieht den Corona-Virus als höhere Gewalt – und sich selbst damit von einer Haftung befreit. Im Vorfeld der Absage gab es erkennbar die Erwartung, dass WHO oder spanische Gesundheitsbehörden in einem förmlichen Beschluss die Krisensituation ausweisen. Dann wäre die Lage eindeutig gewesen.

Viele kleine Firmen, die mit ihrem Entwicklungsfahrplan auf den MWC ausgerichtet sind, haben kaum Alternativen, nun ein größeres Publikum anzusprechen. Ihr Schaden bemisst sich nicht nur nach den Kosten für die Messe-Vorbereitung, sondern auch nach fehlenden Geschäftsabschlüssen, die auf dem MWC vorbereitet oder unterzeichnet werden.

Die großen Konzerne haben dagegen bereits verschiedene Ausweichmöglichkeiten benannt: Über soziale Medien, regionale Events oder vermehrte Präsentationen direkt bei Kunden wollen sie in diesem Jahr die Innovationen an den Mann und an die Frau bringen.

Vielfältige Probleme

Die GSMA hatte zuvor noch versucht, mit Zugangsbeschränkungen und weiteren Maßnahmen mehr Sicherheit zu vermitteln. So sollten unter anderem Besuchern aus der am stärksten betroffenen chinesischen Provinz Hubei mit dem Ausgangspunkt der Epidemie, der Millionenmetropole Wuhan, der Zugang zur Messe verweigert werden.

Andere Teilnehmer aus China sollten nur nach einer 14-tägigen Quarantäne im Vorfeld der Messe zugelassen werden. Unter anderem ZTE und Huawei hatten deshalb ihre Mitarbeiter bereits vorab nach Barcelona geschickt, wo sie sich im Hotelzimmer in Isolation begeben sollten. Auch aus diesem Grund war nur ein Teil der vorgesehenen Messemannschaft eingeplant.

Allerdings gab es auch Schwierigkeiten, das Personal oder auch nur Equipment überhaupt nach Europa zu bekommen: Viele große Airlines haben die Verbindungen von und nach China gekappt, darunter die Lufthansa, British Airlines sowie American und United Airlines.

Andere Firmen kündigten an, dass die Mitarbeiter selbst entscheiden könnten, ob sie zur Messe fahren. Einige Absagen gründeten wohl auch auf der Sorge, dass Mitarbeiter meutern, Firmen bei möglichen Infektionen auf Schadensersatz verklagt werden oder Führungskräfte im Nachhinein in Quarantäne geraten könnten.

Auch andernorts Absagen und Verschiebungen

Handelsmessen, Kunst- und Sport-Events sowie Modeschauen in China sind derzeit natürlich nicht durchführbar und werden in der Regel abgesagt. Der Formel-1-Lauf von Shanghai ist auf unbestimmte Zeit verschoben.

Aber auch in anderen Ländern kommt es zu Absagen. So wurde in Japan die CP+ abgesagt, die zweitgrößte Foto- und Kameramesse nach der photokina in Köln. Dort werden normalerweise rund 70.000 Besucher erwartet. Auch in Japan, Singapur und Malaysia wurden diverse Events gestrichen.

Ebenso sagte Cisco seinen globalen Kunden- und Partner-Event Cisco Live Anfang März in Melbourne ab, zu dem rund 8.500 Teilnehmer angemeldet waren. In beiden Fällen lautete die Begründung ähnlich der aus Barcelona: Die Gesundheit und Sicherheit der Teilnehmer stehe an erster Stelle, diese wolle man keinem unkalkulierbaren Risiko aussetzen.

In Europa wurde die Hausmesse „Time to Move“ des Uhrenherstellers Swatch abgesagt, ob die Uhrenmessen in Basel (Baselworld) und Genf (Watches & Wonders) stattfinden werden, ist noch nicht sicher. Hier dürfte das Problem sein, dass die Einkäufer fehlen, die für China als größtem geschlossenem Absatzmarkt der Welt gerade für Konsum- und Luxusgüter von entscheidender Bedeutung sind. Die London Fashion Week versucht kommendes Wochenende, diese Zielgruppe mittels Streams über die chinesischen Plattformen Weibo und WeChat zu erreichen – die im Rest der Welt führenden Social-Media-Plattformen Facebook, Youtube & Co. sind jenseits der „Großen Firewall“ nicht zu erreichen.

„Embedded World findet statt!“

Die gerade zu Ende gegangene AV-Messe Integrated Systems Europe (ISE) in Amsterdam war durch den Virus-Ausbruch nur geringfügig beeinträchtigt. In erster Linie hatten einige chinesische Aussteller abgesagt, aber auch die koreanische LG, die sich ebenso vom MWC zurückgezogen hatte.

Die deutschen Messen und Events sind unterschiedlich stark betroffen. Auf der Bosch Connected World bcw20 kommende Woche werden die Stände nur mit Personal besetzt, das seinen Wohnort außerhalb Chinas hat. Einige Firmen aus der Stadt Wuhan bzw. der Provinz Hubei werden wohl komplett fehlen.

Zur Embedded World, die parallel zum MWC 2020 liegt (25.-27. 2. 2020), gab es bereits bedeutende Absagen, insbesondere von Seiten der Chiphersteller: ST Microelectronics machte den Anfang und verkündete den Rückzug zugleich mit dem vom MWC. Es folgten AMDArm, Cypress, EM Microelectronic, FTDI (Bridgetek), InfineonIntelMicrochip, Micron, NvidiaNXP, QualcommRenesas, Rohm, Silicon LabsWinbond und Xilinx. Texas Instruments ist nicht mehr als Aussteller, aber noch als Unterstützer der MIOTY-Alliance mit Sprechern auf der Messe vertreten.

Daneben fehlen beispielsweise die Amazon-Cloudsparte AWS, IIoT-Spezialist Digi International, Speicherproduzent Swissbit, Drahtlos-Anbieter Telit, die System- und Komponenten-Lieferanten Actron, Data Modul, Mitac (Tyan)Powerbridge Computer und Mitsubishi Electric sowie die Distributoren Arrow Electronics, Digi-KeyFutureElectronics und Avnet mit seinen Brands Abacus, EBV, Farnell, IoT Plaza und Silicia.

[Update 21.02.2020] Die jüngsten Rückzieher umfassen: Acal BFi, Adesto, Analog Devices (ADI), Altium, Asus, b-plus, Bosch (nur Automotive), Digilent, Elektor, Embedded Brains, Espressif Systems, HilscherHoffmann + KrippneriBaseInsight.techIPC2U, IQD, Kienzle, KioxiaKontron, Linx Technologies, LPKFMicrosoft (führt weiterhin ein Kunden- und Partner-Event „IoT in Action“  am 24.02. ebenfalls in Nürnberg durch), Mouser Electronics, On SemiconductorOpenHW GroupPOHL ElectronicPolyrack, Rafi Eltec, Recom, RS Components, S.I.E Solutions, Schukat, SE Spezial Elektronik, Socionext, SolidRun, TMETopwayLCD, Toshiba Electronics Europe, TQ-Systems, Western Digital und Würth Elektronik.

Die relativ kleine Halle 5 ist inzwischen nicht mehr Teil der embedded World 2020, auch die Halle 4A ist höchstens noch zu 2/3 belegt. Auch in den anderen Hallen tun sich immer mehr Lücken auf.

Weitere Unternehmen könnten noch folgen. Andererseits gibt es auch Unterstützer der Messe, die ihr Erscheinen fest zugesagt haben. Darunter finden sich AdvantechAtlantik Elektronik, Bosch (außer Automotive), Congatec, Endrich, Ginzinger Electronic Systems, Glyn, Green Hills, Heitec, Hy-LineLDRA, Lynx Software Technologies, Mentor, MEV Elektronik Service, Percepio, Phoenix Contact, Phytec, RAK Wireless, Rohde & Schwarz, Rutronik, SSV Software Systems, Teledyne LeCroy, WAGO, Wibu-Systems und Windriver. Auch hier bröckelt die Front – einige „sichere“ Zusagen wurden inzwischen auf „nehmen derzeit teil, beobachten aber die Situation“ abgeändert – oder sogar direkt in Absagen. Zudem ist bereits absehbar, dass etliche Besucher mangels Ansprechpartnern dieses Jahr fernbleiben – so dass sich wiederum die bislang verbliebenen Aussteller die Frage stellen, ob der Aufwand überhaupt lohnt.

Auf der Embedded World soll unter anderem die Verknüpfung von 5G und Industrie 4.0 thematisiert werden. Aber auch die Entwicklung von 5G-Equipment für professionelle Anwender ist ein Messethema.

Die NürnbergMesse stellte am Mittwoch (19. Februar) noch einmal klar: „Die Embedded World 2020 findet wie geplant statt“. Auch nach der Absage des MWC gebe es keinen Grund für Verunsicherung. Zwei Weltleitmessen habe man seit Ende Januar bereits erfolgreich in Nürnberg durchgeführt, auch andere Großmessen in Deutschland hätten stattgefunden. Zudem seien die Sicherheitsmaßnahmen nochmals ausgeweitet worden:

  • verstärkte Reinigungs- und Desinfektionsvorsorge an hochfrequentierten Stellen;
  • deutlich erhöhte Verfügbarkeit von Desinfektionsmaterialien;
  • „No-Handshake-Policy“ und Informationen, wohin man sich im Verdachtsfall wenden kann;
  • Sensibilisierung und Schulung des gesamten Personals in Bezug auf Präventiv-Maßnahmen.
  • Qualifizierte Ärzte und Rettungsassistenten in den Sanitätsstationen seien auf mögliche Verdachtsfälle vorbereitet und werden unterstützt durch Dolmetscher.
  • Für den Fall dass Verdachtsfälle auftreten, sind räumliche und organisatorische Vorbereitungen für eine sofortige Quarantäne getroffen.

Die Hannover Messe, die erst Ende April stattfindet, hat nach eigenen Angaben bislang noch keine Aussteller verloren. Gleiches gilt für den CeBIT-Nachfolger Twenty2X vom 17. bis 19. März. Und der Verband der deutschen Messewirtschaft (AUMA) stellte klar:

„In Deutschland finden alle Messen wie geplant statt. Die deutschen Messeveranstalter stehen in enger Abstimmung mit den zuständigen Gesundheitsbehörden: Diese sehen gegenwärtig keinen Anlass, die Durchführung von Messen in Deutschland einzuschränken.“ – AUMA-Vorsitzender Philip Harting